„Ich war empathisch, ich war links. Aber jetzt sind es mir einfach zu viele.“ - Als Zuschauer fühlt man sich ertappt – von der entwaffnenden Ehrlichkeit der Österreicherin Elfriede Jelinek, die ihr Werk zur Flüchtlingssituation, „Die Schutzbefohlenen“, seit 2013 stetig fortgeschrieben hat. So sind die Anhänge „Appendix“ und „Coda“ entstanden. Der „Epilog auf dem Boden“ stammt aus dem Januar 2016 und ist nun in den Kammerspielen des Schauspielhauses erstmals aufgeführt worden. Nicht zuletzt durch die Integration von Fremdtexten – etwa von Bundeskanzlerin Angela Merkel oder dem adretten österreichischen Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres, Sebastian Kurz – wird nicht nur die Situation in Jelineks Heimatland, sondern auch die in Deutschland in den Blick genommen. Und da erlebt man im Schnelldurchgang die schier atemberaubende Entwicklung des letzten halben Jahres: von einem Deutschland, das sich an der vielgepriesenen Willkommenskultur berauscht, zu der Frage, welche Geflüchteten nun tatsächlich als schutzbedürftig gelten können, zur Furcht vor dem angeblich übergroßen sexuellen Appetit männlicher Migranten und natürlich auch zur Bedrohung durch islamistischen Terror.
Apropos „atemberaubend“: Da denkt man in Deutschland natürlich gleich an eine Frau, die Jan Böhmermann einmal als singendes Desinfektionsmittel bezeichnet hat. Entsprechend werden in den Kammerspielen Erörterungen der unhaltbaren sanitären Zustände auf der Balkanroute mit Bildern der „Atemlos durch die Nacht“ trällernden Helene Fischer konfrontiert. Die akrobatischen Fähigkeiten, die sie dabei an den Tag legt, sind allerdings beeindruckend. Muss man neidlos anerkennen.
Apropos Kriterien - wer sollte denn nun eigentlich als asylberechtigt gelten: der, der Folter erlitten hat? Oder nicht auch der, der in seiner Heimat Folter befürchten muss? Und wie steht es mit Menschen, die zwar nicht politisch verfolgt sind, aber unter unwürdigen ökonomischen und sozialen Bedingungen leben müssen?...
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